Das Traufenhaus

Materialcollage der vorgefundenen Oberflächen und Strukturen.

Das Traufenhaus, zu seiner Zeit der Erbauung ein Haus unter Vielen. Als aus vergangener Zeit überliefertes Kleinod, ein stilles Zeugnis für Sinnhaftigkeit aus dem Nutzen und den handwerklichen Ausführungen. Alles Vorgefundene, wie die Stadtmauer und der Stadtgraben, wurden in der Vergangenheit angenommen und in das Nutzungskonzept integriert.

Die Stadtmauer, die unsere Stadt aus dem Bedürfnis nach Schutz gegenüber der Gefahr von Außen einfasste und so ein Gesamtbauwerk Stadt als wehrhafte Sinnform in die Landschaft verortet, wurde Teil der Konstruktion. Der Höhenunterschied zwischen der Gasse und dem Stadtgraben trennten über die Ziegenrampe die Aufenthaltsbereiche zwischen Mensch und Tier, von Innenräumen und integrierten Außenräume, zwischen der Stadt und der Landschaft. Ökonomisch errichtet aus den Materialien des Ortes, mit den Verarbeitungsmöglichkeiten der Nutzer und deren kollektiven Erfahrungen.

In seinen ersten Strukturen war das Traufenhaus eine Summe von erdgeschossigen Einraumbehausungen mit Speicherflächen im Obergeschoss und einem Zugang zum Stadtgraben. In Folge wurden die Einheiten strukturell miteinander verbunden, über die Geschosse vernetzt und mit neuen Stallungen im aufgegebenen Stadtgraben erweitert. Somit wurde das Wachstum der Stadt über die Mauer hinaus ermöglicht. Aus der schutzgebenen, introvertierten Form der Stadt wurde eine indiffernete, extrovertierte Form, die dem unstillbaren Bedürfnis nach Raum Folge leistete.

Die Stadtmauer mit ihrer Massivität und Linearität bestimmt die Geometrie und Tektonik, die Fügung der Bauteile des Traufenhauses und formuliert es zum Schwellenbauwerk zwischen Stadt und Landschaft. Wände und Decken sind aus stabförmigen Holzbalken, Holzständern und Riegeln gefügt, die in ihrer reduzierten Bearbeitung noch die Herkunft als Teil des Baumes nachvollziehbar zeigen. Das alles jenseits unserer technisch geprägten zeitgenössischen Verarbeitung, die mit einer Abstraktion den Bezug zur Herkunft ignoriert. Die additiven Balken wurden mit Bohlen überdeckt zu Decken verschalt und die Fachwerke mit Ziegeln oder mit Gebinden ausgefacht und mit Lehm und Kalkschlemme verputzt. Die Putze sind in ihren Strukturen und Zusammensetzungen, in Farbigkeit und Körnung der Oberflächen, im optischen Erfahrungsraum der Natur. Das Schichten, Verbinden, Verkleiden und Bedachen war immer aus einem inneren Bedürfnis nach Schutz motiviert und aus einem ökonomischen Zwang mit der maximalen Einfachheit realisiert.

Das Ergebnis, was uns als Traufenhaus überliefert vorliegt, ist voller Schönheit aus diesem Zwang zur Einfachheit. Alle verwendeten Materialien zeigen sich mit dem Charakter der Herkunft. Alle historischen Oberflächen sind im Nebeneinander in Harmonie, da sie aus dem Ort geschöpft wurden, an dem sie auch verarbeitet wurden. Die Harmonie zeigt uns die DNA des Ortes, die durch die visuelle Komplexität der gegenwärtigen, industriellen Vielfalt an Strukturen und Materialien negiert wird.

Die im Traufenhaus vorgefundenen Farbigkeiten der unterschiedlichen Rottöne aus gebrandten Ton für die Ziegel der Wände, für die Kacheln der Böden im Treppenhaus und für die Farbfassungen der Dielungen im Obergeschoss, treffen auf die mineralischen Oberflächen der Sandsteine der alten Stadtmauer, der Bobenbeläge im Erdgeschoss und den mineralischen Putzen an den Wänden. All diese Oberflächen sind im Hell- Dunkel-Kontrast zueindander, selbsterklärend und sinnhaftig. Die vergrauten Hölzer und die blau gekälkten Putze stehen ebenfalls im Kontrast zueinander und trennen die tragenenden Bauteile von den Bekleidungen. Die warmweißen Lackflächen der Türen und Fenster umschreiben die zu öffnenden Elemente, die die inneren Räume miteinander vernetzten und zur Stadtlandschaft hin öffnen. Es ist die Summe der Einzelheiten, die das Angesicht des Bauwerks prägen.

Wir sehen unsere Aufgabe als Architekten darin, diese Summe der Einzelheiten sichtbar zu machen, indem wir sie in Teilen freilegen, festigen und in ihrer Zusammensetzung akzeptieren und fortführen. Die Einfachheit und Sinnhaftigkeit, mit der das Gebäude geschaffen wurde annehmen und nicht mit den heutigen Werten und Ansprüchen überfordern. Das was dann entsteht, ist das Konzept einer Behausung aus einer anderen Zeit, das mit seiner Ökonomie des Aufwandes alles das wiederspiegelt, was wir als Gesellschaft von der Gegenwart mit Blick in die Zukunft als Nachhaltigkeit erwarten. Im Ergebnis aber ist es ein Gebäude, das nicht unsere formulierten Bedürfnisse an Komfort und Nutzungsvielfalt erfüllt. Das Traufenhaus ist uns aus Bescheidenheit der Nutzer oder aber auch aus Zufriedenheit überliefert, nicht als Kompromis sondern aus empfundener Erfüllung. Es zeigt uns, das die Inovationen einer nachhaltigen Zukunft nicht nur mit technischen Lösungen realisiert werden können die unser bisheriges Verhalten weiterhin ermöglichen, sondern das Sozialisierungen und Identifikationen aus gelebter vergangener Zeit in ihrem Abbild, auch Vorbild für neue Verhaltensriten im Miteinander zum Ort in die Zukunft weisen.

Im Traufenhaus wird die Kultur des Handwerks aus der überlieferten Erfahrung und der Tradition sichtbar und formuliert so die stille Schönheit des Alltäglichen jenseits des Besonderen.